Tränen füllten meine Augen und das schlechte Gewissen kroch in mir empor. „Mama, schau mal“, rief es von der Rückbank unseres Autos. Meine Tochter war schon wieder zur Normalität zurückgekehrt, dabei war unsere Auseinandersetzung gerade mal seit 120 Sekunden verstummt. Ich blickte nach hinten zu ihr um und antwortete nur knapp. Ich musste mich schnell wieder von ihr abwenden, denn ich wollte nicht, dass meine 5-jährige Tochter sah, wie traurig mich unser Gebrüll machte, das bis vor wenigen Minuten den Raum zwischen uns erfüllt hatte.
Schon den ganzen Morgen war es ihr gelungen, meine Nerven einem extremen Stresstest zu unterziehen. Kurz vor der Abfahrt in den Kindergarten riss mein Geduldsfaden endgültig und ich schrie: „Halt jetzt den Mund!“ Wütend und unter Tränen entgegnete sie: „Ich will dir aber was sagen“. Sie wusste gar nicht, wohin mit ihrem Zorn und ihrer Enttäuschung, dass ihr in diesem Moment nicht hören wollte, was sie zu sagen hatte. Wenn ich diese Zeilen jetzt schreibe, fühle ich mich schlecht, denn wie kann ich denn nicht wissen wollen, was mir mein Mädchen zu sagen hat?! Natürlich will ich es hören, jedes einzelne Wort, keine Silbe möchte ich missen.
Unser Geschrei im Hof hatte mittlerweile unsere benachbarten Großeltern auf den Plan gerufen. So sehr ich sie liebe und schätze, das war zu viel. Ich brauchte in diesem Moment weder Publikum, noch Zweit- und Drittmeinungen und schon gar kein bemitleidendes „Schätzchen, was ist denn los“. Ich drückte meinem Mann kurzer Hand unser neuestes Familienmitglied, das zwischenzeitlich aus dem brüllenden Duett ein Trio gemacht hatte, in die Arme, riss mein große, verzweifelte Tochter an mich und verlies die Bühne.
Kurz darauf saß ich im Auto und dachte: „Du bist eine grauenvolle Mutter.“ Meine Nerven lagen ohnehin schon blank. Die vergangenen Wochen waren arbeitsintensiv gewesen, und auch der heutige Tag versprach, nicht weniger anstrengend zu werden. Ich überlegte, was eigentlich der Auslöser für unseren Streit gewesen war. Ich konnte mich nicht mal mehr erinnern! Und dann tat es mir unendlich leid! Es war nicht ihre Schuld. Sie war weder für mein hohes Arbeitspensum noch für meine hohen Ansprüche an mich selbst verantwortlich, denen ich augenscheinlich nicht gerecht geworden war, denn sonst hätte ich mich von meinem „Terrorzwerg“ nicht so aus der Ruhe bringen lassen.
Nicht einmal mehr der Gedanke daran, dass es anderen Eltern ähnlich erging, tröstete mich. Im Gegenteil: Ich war mir sicher, dass ich mit Abstand die schlechteste Mutter der Welt war. Doch heute weiß ich, dass auch Mütter nur Menschen sind. Und Menschen machen Fehler, neigen zu emotionalen Ausbrüchen. Manchmal sind die Erwartungen an einen selbst so hoch, dass man nur scheitern kann. Scheitern im Sinne von am Ende mit seiner Geduld und seinem Latein am Ende zu sein. Was bleibt ist die Hoffnung, dass es noch mehr mütterliche Unmenschen, wie mich gibt, die hin und wieder vor dem Alltag kapitulieren und die nicht auf alle Erziehungsfragen die pädagogisch wertevollen Antworten parat haben.
Doch bei allem Geschrei, was zu einem gewissen Maße auch dem Temperament von Mutter und Tochter geschuldet ist, haben wir eins nie getan: Wir sind nie im Streit auseinander gegangen, sondern haben uns vertragen und umarmt. Für meine Tochter ist dann alles vergessen und ihre Welt in bester Ordnung. Doch mein schlechtes Gewissen hat dann erst so richtig Platz, sich zu entfalten.
Ich kenne das und kann nur sagen jedes einzelne Wort, jede einzelne Sekunde, die du beschreibst, hätte auch bei uns so ablaufen können. Ich glaube aber, dass du eine gute Mutter bist und es dir gönnen musst, einmal gestresst und überfordert zu sein und das nicht verbergen zu können. Das ist ok. Deine Tochter ist wie du sagst, relativ schnell wieder zur Normalität zurückgekehrt, weil es für sie vermutlich nix weiter war, als ein kurzer Streit weil Mama eben gestresst war. Alles wird gut! 🙂 Frohe Weihnachten…
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