Parallele Welten in der Corona-Zeit

Als ich gestern ein Telefonat zum Thema Obdachlosigkeit in der Corona-Krise führte, entdeckte ich auf meinen Unterlagen eine kurze Notiz: „Überraschungskuchen und Regenbogen-Smoothies“. Diese Gedankenstütze musste ich wohl – mal wieder in Eile – dort hingekritzelt haben, um zu verhindern, dass ich meine Ideen für den bevorstehenden Geburtstag meiner Tochter vergesse. Doch in diesem Moment wirkten diese beiden Worte wie zwei Farbklekse auf schwarzem Grund. Diese beiden Worte waren stellvertretend dafür, wie unterschiedlich die Schicksale und Geschichten der Corona-Zeit sind.

Auch wenn ich mich in den ersten Tagen gestresst und eingeengt gefühlt habe, muss ich doch zugeben, dass ich derzeit keinen Grund habe mich zu beschweren. Homeoffice ist für mich nichts neues. Homeschooling dagegen schon. Doch da lediglich eine von meinen beiden Damen die Schule besucht und dazu ein Erstklässler ist, hielt sich meine Lehrertätigkeit in Grenzen. Die ersten Tage liefen nicht optimal. Die Kinder treiben mich auch jetzt noch regelmäßig auf die Palme.

Klar bekommt auch meine Familie die Krise zu spüren: Ich arbeite in Kurzarbeit, meine Zeitung erscheint, was die Seitenanzahl betrifft in einer Notausgabe und die derzeitige Krise ist auch für uns ein Kraftakt. Doch das sind mit absoluter Sicherheit sehr milde Symptome der Krise! Andere, die um ihre Existenz fürchten, haben viel mehr mit dem Virus zu kämpfen als wir. Ob das bei uns so bleibt? Keine Ahnung? Ich hoffe es! In diesen Tagen hat mich die Krise nicht gebeutelt, sondern mich etwas gelehrt. Sogar etwas geschenkt.

Mir wird Zeit geschenkt

Für Alleinstehende mag die Tatsache, dass man einige Zeit mit sich selbst zu Recht kommen muss, die größte Herausforderung zu sein. Nachvollziehbar. Auch wenn ich bis vor Kurzem nicht mehr wusste, wie es ist, eine längere Pause zu haben, also eine Pause, in der nichts zu tun ist. Damit meine ich nicht die Zeit, wenn ich mich nach langen Zubettgehritualen, abendlichen Arbeitsterminen, Laptop- oder Haushaltsspätschichten, endlich mal auf die Couch fallen lassen, um mit meinem Mann noch eine Stunde unserem Serienkonsum zu frönen. Es geht um echte Pausen. Zeit. Zeit für Dinge, die sonst in den vorbeirauschenden Wochen unseres Familienalltags höchstens auf eine meiner geliebten Listen auftauchen, aber selten umgesetzt werden. Dinge, die ich gerne machen würde und nie Zeit finde, deren Nicht-Umsetzung aber regelmäßig Rabenmuttergefühle und schlechtes Gewissen in mir empor kriechen lassen. Kann zu schweigen von Zeit, die nun auch hier und da für mich selbst abfällt!

Ich lerne Entschleunigung

Normalerweise zieht es mich hinaus in die Welt, denn ich möchte meinen Kindern soviel wie möglich zeigen. Ich erobere lieber neue Orte mit meinen Mädels anstatt das Puppenhaus. Doch im Moment genieße ich unsere vier Wände. Normalerweise fällt mir nach einem langen Wochenende die Decke auf den Kopf. Doch im Moment entstresst es mich, dass ich keinen inneren Drang verspüre, die freie Zeit mit irgendwelchen Ausflügen oder erlebnisreichen Aktivitäten zu füllen. Das ist wohl kein plötzlicher Wandel in mir, sondern der Tatsache geschuldet, dass ich im Moment trotz Zeit nirgends hin kann. Doch das ändert nichts an der Entschleunigung, die so guttut. Wir sind einfach da und gesund. Natürlich ist diese Gelassenheit auch dem Gemeinschaftsgedanken geschuldet, denn es sitzen ja alle in einem Boot.

Wie grotesk! Wie kann ich eine Zeit zu schätzen wissen, in der unser Gesundheitssystem ans Limit geraten könnte und in anderen Ländern längst darüber hinaus ist. Eine Zeit, die anderen Berufsgruppen unglaublich viel abverlangt. Eine Zeit der Ungewissheit, der Angst, der Sorge, der Krankheit.

Während ich mit meinen Kindern Zeit finde, um Kuchen zu backen, Laufeimerparcours im Hof zu aufzubauen, müssen andere ihre Kinder in Notbetreuung bringen, weil sie Tag für Tag dafür sorgen, Überstunden machen, sich einer möglichen Ansteckung aussetzen, damit wir alle medizinisch betreut werden können, damit wir mit volle Supermärkte vorfinden, damit wir nicht im Müll ersticken, damit die Einrichtungen, die noch geöffnet sind, sauber sind.

Während ich mit meinen Kindern Regenbögen in den Straßen zähle, ausgedehnte Sparziergänge mache und Memory spiele, zittern andere um ihre Existenz und versuchen mit Lieferservices und To-Go-Aktionen, wenigstens einen Bruchteil des verlorenen Umsatzes in die Kasse zu bekommen.

Wie kann ich es da wagen, zu jammern. Wie könnte ich es wagen, nicht dankbar zu sein. Es geht nicht darum zu prahlen, sondern darum die eigenen Einschränkungen objektiv wahrzunehmen. Dann wird mir klar, ich bin weiß Gott nicht in der Position mich über irgendetwas zu beschweren. Trotzdem habe ich Angst, dass meine leise Dankbarkeit für viele Menschen wie eine Ohrfeige klingen muss.

Ich hoffe, es ist nicht falsch für einen Nebeneffekt einer noch nie dagewesenen Krise dankbar zu sein. Eine Krise, die Existenzen gefährdet und Leben kostet, Menschen vereinsamen und andere in Arbeit ertrinken lässt. Doch vielleicht ist es auch gerade jetzt, meine verdammte Pflicht, dankbar zu sein, diese Dankbarkeit auch versuchen meinen Kindern irgendwie zu vermitteln. Auch wenn ihnen Freunde, Hobbies, Kita und Schule fehlen, haben sie immer noch sich, einen Hof zum Spielen, und eine Mama mit viel Zeit. Ich habe weder das Recht noch einen Grund mich zu beschweren. Ich werde mich leise über die geschenkte Zeit freuen und sie bestmöglich nutzen, solange es ist wie es ist.

 

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