Wir werden es wohl nie verstehen. Wir marschieren durch die Welt, also ob sie einzig und allein für uns kreiert worden wäre. Wir teilen die Menschen in Kategorien ein. Der eine ist aus dem und dem Grund weniger wert, wird also entsprechend schlechter behandelt. Scannen und in eine Schublade verfrachten. Fertig.
Probleme, die nicht vor unserer Haustür passieren oder uns nicht persönlich betreffen, nehmen wir zur Kenntnis, mehr aber auch nicht. Ja, Menschen, die unsere Kleidung herstellen, verdienen zum Teil Hungerlöhne. Das tut uns leid, doch wenn wir das neue Teil dann tragen, haben wir auch schon wieder vergessen, wo und wie es entstanden ist. Wir wissen um all diese Probleme und Szenarien. Doch dadurch, dass sie scheinbar weit weg von uns passieren, gehen sie uns nichts an. Das reden wir uns zumindest ein. Warum? Um unser Gewissen zu beruhigen.
Nicht einmal Corona bringt unsere Ignoranz zu Fall
Um solche Dinge zu ändern, bedarf es nicht nur das Umdenken einer Handvoll Menschen. Das ist mir klar. Doch wir schaffen es ja nicht mal mehr im alltäglichen Leben rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Dieses gesellschaftliche Problem heißt Ignoranz und sie wächst. Nicht mal Corona kann sie zu Fall bringen. Ok, das ist dann unser Ding. Ne, ne, so einfach ist das nicht. Da sind Kinder, denen wir die Welt erklären sollen. Und diese kleinen Wesen haben unfassbar viele Fragen. Doch ich bin mit meinem Latein am Ende.
Wie soll das funktionieren, wenn wir es selbst schlicht und ergreifend nicht draufhaben? Wenn ich in meinen sieben Jahren als Mama eines gelernt habe, ist es, dass Kinder nicht nur neugierig Löcher in den Bauch fragen, sondern uns vor allem nachahmen. Sie schauen ganz genau hin. Wie gehen wir mit unseren Mitmenschen um? Wie halten wir es mit Respekt und wie mit der Umwelt? Leben wir in unserem eigenen kleinen Mikrokosmos oder interessiert uns auch, was außerhalb der schützenden Mauern passiert? Kinder sind sich dessen nicht bewusst, doch sie beobachten uns, denn so lernen sie. Die Frage ist nur, was lernen sie im Moment von uns?
Wir haben es nicht drauf!
Ich muss nicht immer eine Antwort parat haben. Doch ich muss wissen, was ich meinen Kindern vorleben will. Das weiß ich so ungefähr. Was ich ganz sicher weiß, ist, dass ich keine ignoranten Erwachsenen heranziehen will, sondern Menschen mit Weitblick und Mitgefühl. Ich letzter Zeit frage ich mich jedoch immer mehr, wie das funktionieren soll, wenn wir Menschen vor allem in der Disziplin „Egoismus“ ganz oben auf dem Treppchen stehen. Wenn ich darüber nachdenke, dass uns die Corona-Zeit scheinbar nichts gelehrt haben soll, dann bleibt mir nichts anderes übrig als davon auszugehen, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, etwas dazuzulernen. Wir haben es nicht drauf.
Wie ich darauf komme? Klimawandel, Umweltverschmutzung, Plastik in unseren Meeren – und unsere aktuelle Antwort darauf? Wir finden zur Abwechslung mal was Neues, das wir in der Natur achtlos fallen lassen können. Mundschutz und Einweghandschuhe. Sie pflastern immer mehr die Parkplätze vor unseren Supermärkten. Ernsthaft? Wie würdet ihr das Verhalten bezeichnen, wenn ich nicht in der Lage bin, meinen Mundschutz in einem Mülleimer zu entsorgen oder ihn einfach wieder in meine Tasche zu stopfen und zu Hause wegzuwerfen. Mir fallen da drei Worte ein. Entweder faul, dumm oder eben ignorant. Wobei letzteres wohl das schlimmste ist, denn gegen Faulheit und Dummheit kann man etwas tun. Mit Ignoranz geht hingegen oft auch die Einbildung einher, mit grenzenlosem Wissen gesegnet zu sein. Daraus folgt: Unbelehrbarkeit, denn wie willst du jemandem was beibringen, der schon alles weiß?!
Reg dich doch nicht so auf!
Soweit so gut. Man könnte sagen, reg dich doch nicht so auf, sondern mach es einfach anders! Ja klar, das ist mein Plan, doch da sind noch unsere kleinen, fragenden und kritischen Beobachter. Wie soll ich meinen Kindern erklären, dass die Welt seit Monaten aus den Fugen geraten ist und wir scheinbar nichts daraus lernen?
Ich reite auf Kleinigkeiten herum? Ok – ein anderes Beispiel. Als der Lockdown seinen Lauf nahm, hatte ich doch tatsächlich die naive Hoffnung, dass wir uns wieder mehr auf die regionalen Produkte besinnen. Doch mittlerweile befürchte ich, dass diese Rückbesinnung nur eine Momentaufnahme war. Wir werden weiterhin unser Obst und Gemüse aus dem größten Obst- und Gemüsegarten Europas beziehen, dessen Gewächshäuser an der südspanischen Küste in der Provinz Almeria eine Fläche von 350 Quadratkilometer einnimmt und sogar vom Weltall aus zu sehen ist – ein riesiges Meer aus Plastik. Wer will schon auf Zucchini, Tomate und Co verzichten oder auf Dauer mehr als unbedingt nötig bezahlen.
Wir werden uns weiterhin keine Gedanken um die Plastikplanen der Gewächshäuser von Almeria machen, die früher oder später im Meer landen. Wir hinterlassen unseren Kindern lieber ein neues „geologisches Zeitalter“, das dann in ausgetrockneten Flüssen zwischen den anderen Erd- und Gesteinsschichten zu finden ist. Auch die Bedingungen, unter denen afrikanische Flüchtlinge teilweise dort arbeiten und leben, wird uns zwar berühren, mehr aber auch nicht.
Die Menschen schimpfen auf die Fleischfabrik Tönnies und kaufen übermorgen wieder abgepacktes Billigfleisch beim Discounter. Dann denkt niemand mehr an die Arbeitsbedingungen und das Tierwohl.
Es geht mir hier nicht darum pauschal zu verurteilen oder mich als besonders guten Menschen hinzustellen. Wir tragen alle unseren Teil dazu bei, dass wir unseren Kindern höchstwahrscheinlich keinen gesunden Planeten hinterlassen werden. Mir ist auch klar, dass an diesen Industrien unzählige Arbeitsplätze hängen. Ich habe auf meiner Insel der Glückseligkeit ja leicht reden. Ja, habe ich, dessen bin ich mir bewusst. Doch ich weiß noch was: Mit diesem Glück geht auch die Verantwortung einher, nämlich meinen Kindern wichtige Werte zu vermitteln.
Google hilft da auch nicht weiter
Doch die Frage bleibt: Was antworte ich darauf, wenn meine Kinder mich fragen, warum wir jetzt auch noch Mundschutz und Plastikhandschuhe in die Landschaft werfen, schließlich haben alle von Greta Thunberg gehört. Soll ich sagen, weil wir zu faul sind, drei Schritte weiter zu laufen? Soll ich sagen, dass wir nicht fähig sind, unser Verhalten zu ändern? Soll ich ihnen sagen, dass es uns egal ist, was wir Ihnen hinterlassen? Ich werde schlicht und einfach antworten müssen: Weil wir Menschen egoistisch und ignorant sind.
Ich weiß, dass nicht alle Menschen ignorant sind. Ich darf dank meines Jobs regelmäßig interessante Menschen kennenlernen, die alles andere als egoistisch sind. Diese Menschen entfalten ihre ganze Kraft in ehrenamtlichen Tätigkeiten. Auch die Menschen, die einen beruflichen Weg eingeschlagen haben, der sie täglich in die Verantwortung nimmt, Menschen zu helfen und zu unterstützen, sind ein Hoffnungsschimmer.
Ich möchte mich selbst auch nicht zu der Ignoranz-Fraktion zählen, doch hin und wieder ertappe ich mich dabei, wie ich mein eigenes Gewissen mit dem Gedanken beruhige, dass ich ja sowieso nicht alleine die Welt retten kann. Doch darum geht es ja gar nicht. Es geht doch eigentlich nur darum, dass wir von unserem hohen Ross heruntersteigen und uns klar machen, dass die Erde ganz gut ohne uns klar kommt. Anders herum wird’s eher schwierig.
Außerdem ist es ja nicht so, dass Ignoranz kürzlich erst erfunden wurde. Nein, das haben wir schon vor einer ganzen Weile geschafft, und über die Jahre haben wir sie immer weiterentwickelt. Wo man früher noch gelernt hat, dass man auf Dinge, die einem nicht gehören, ganz besonders gut aufpasst, herrscht heute eine „Mir-doch-egal-Einstellung“, die mich einfach wütend macht. Es fängt bei Kleinigkeiten an: Wenn ich ein Geschäft betrete, werfe ich ein Blick über die Schulter, damit ich meinem Hintermann nicht die Tür vor der Nase zuschlage. Eine höfliche Geste im Miniatur Format. Jemand macht mir auf dem Gehweg Platz, damit meine radelnden Kinder nicht absteigen müssen, die natürliche Reaktion: „Dankeschön.“ Ein flüchtiger, aber ehrlich freundlicher Gruß für den Nachbarn, schließlich läuft man sich öfter mal über den Weg. Alles Selbstverständlichkeiten? Leider eher Raritäten.
Auf der Suche nach Antworten für meine Kinder, komme ich also in Erklärungsnot. Auch Google wird mir dabei nicht weiterhelfen können. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als meinen Kindern die Wahrheit zu sagen, in der Hoffnung, dass sie zu Menschen werden, die ihre Ignoranz zumindest im Griff haben, denn ablegen werden wir Menschen dieses wohl nie. Doch ich bin davon überzeugt, dass kleine Gesten der Menschlichkeit, der Freundlichkeit, der Umsicht zumindest ein Mittel sind, um die rasante Ausbreitung der Ignoranz zu verlangsamen. Nach dem Motto: Flatten the curve, denn zu viel Ignoranz auf einmal führt irgendwann zum Kollaps.