Anna: Füße hoch, Ansprüche runter. Oft stehen wir uns selbst im Weg

Eine Working Mom, drei Kinder, guter Job, viel beschäftigt, durchorganisiert, strukturiert, in coolem Outfit, Abenteuerausflüge am Wochenende und auch sonst viel Quality Time für Mann und Kinder – das ist Anna. Haushalt? Habe ich das nicht erwähnt? Na, der lief natürlich, wenn auch nicht perfekt, aber ganz ordentlich. Klingt nach Powerfrau? Definitiv. Klingt anstrengend? Auch das. Klingt erfüllend? Hin und wieder. Doch fehlt da nicht was in der Gleichung? Genau: Me-Time bzw. Anna-Time? Absolute Fehlanzeige. Verschnaufpausen? Nicht in Sicht. Zur Ruhe kommen? Kaum noch möglich.

Anna definierte sich stets über das, was sie vorzuweisen hatte. Sie hatte studiert, ein anständiger und lukrativer Job war also selbstverständlich. Das erwartete man doch von ihr. Das Mutterbild, das sie im Kopf hatte, war eine selbstbewusste und selbstständige Frau, die alles allein schafft. Ein Mutter-Frauen-Bild, in dem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein bereicherndes Abenteuer anstatt ein Balanceakt ist.

Sie wollte zu der coolen Sorten gehören, die auch mal ne Kiste Bionade mit zum Kindergartenfest bringt, weil ihr durchgetakteter Tagesablauf keinen Raum für hausfrauliches Kuchen backen ließen. Überhaupt konnte sie es nicht leiden, wenn die Wörter Hausfrau und Anna in einem Satz benutzt wurden. Gleichzeit wollte sie aber nur das beste für ihre Kinder. Frisch gekocht, selbst gebacken. Anna war hin und her gerissen. Zwischen Realität und selbst auferlegtem Perfektionismus.

Morgens trieb sie ihre Kinder an, sich zu beeilen. Sie waren oft die ersten in der Betreuung, denn Anna hatte das Gefühl nur wertvoll zu sein, wenn sie viel leistete. Viel leisten zu wollen bedeutete für sie den Vormittag effektiv zu nutzen, um so viel wie möglich abzuarbeiten, bevor die Kids am Nachmittag wieder nach Hause kamen. Ganztagesbetreuung wollte sie nicht, schließlich wollte sie auch für ihre Kinder da sein. Später am Tag rannte Anna zwischen Hausaufgaben, Freizeit-Terminen und beruflichen Emails hin und her. Im Hintergrund raunte das ewig schlechte Gewissen: „Das nennst du Zeit für die Kinder, du hast doch wieder nur ne halbe Stunde für sie Zeit gehabt.“ Die Gedanken wirbelten nur herum. „Wie wäre es mal wieder mit Sport? Du bist ja ganz schön fett geworden.“ Anna schob solche Gedanken minder erfolgreich beiseite und machte weiter. Weiter und weiter.

Anna trieb sich selbst immer weiter

Ihr Tag lies kaum Pausen für sich selbst zu. Das Groteske an Annas Geschichte ist, dass sie keineswegs alles allein schaffen musste, keiner verlangte das von ihr, doch eine Person gab es da schon: Anna. Eigentlich waren ihr Ehemann und sie ein gutes Team. Sie teilten sich die Aufgaben, auch wenn es Anna war, die den Überblick behalten musste.

Doch sie war stets von dem Drang getrieben, alles im Griff haben zu müssen. Wenn Anna das Gefühl hatte, nicht mehr hinterher zukommen, wenn im Kleiderschrank die Socken ausgingen, wenn kein Mittagessen für den nächsten Tag vorbereitet war, wenn sich im Haus das Spielzeug in allen Ecken türmte und die Wäscheberge wuchsen, dann hatte Anna das Gefühl versagt zu haben. Sie fühlte sich wie Sisyphos, der es nie schaffte, seinen Felsbrocken bis auf den Gipfel zu rollen.

Hinzu kam das Gefühl, nicht gehört und verstanden zu werden. Wie konnte es sonst sein, dass ihre Familie achtlos täglich mehrere Dutzend Dinge in der Gegend rumliegen ließ. Sahen sie denn nicht, dass sie schon am Anschlag war. Doch viel wichtiger ist doch die Frage, wenn Anna wusste, dass sie am Anschlag war, wieso machte sie weiter wie bisher. Es war fast, als ob sie dieses Gefühl brauchte, um sich wichtig und wertvoll zu fühlen.

Es kam wie es kommen musste. Anna überfiel eine innere Unruhe. Sie war stets auf der Suche nach der nächsten Aufgabe, die erledigt werden musste. Wenn nicht die „du warst aber auch schon mal schlanker und fitter“ –  Echos in ihr wieder hallten, dann waren es Gedanken wie: Am Wochenende musst du dir unbedingt mehr Zeit für die Kinder nehmen. Kurz gesagt: Annas Ansprüche an sich selbst waren unerreichbar hoch. Innehalten, durchatmen, ausruhen – für Anna waren das Fremdwörter. Sie hatte schlichtweg verlernt, nichts zu tun.

Anna war unfähig nichts zu tun…

Die fünf Minuten, die zwischen dem Anschalten der Kaffeemaschine und dem fertigen Heißgetränk lagen, nutzte sie um Emails checken und unbeantwortete WhatsApps zu erledigen. Nebenher kümmerte sie sich um Kinderfragen. Der Kaffee war meistens kalt, bis sie ihn trank, was vor allem daran lag, dass sie nicht in der Lage war, bei einer Sache zu bleiben. Ihr Kopf, ihr Hirn, ihre Gedanken stets auf Hochbetrieb. Immer wieder poppten neue Idee, To Dos und unerledigte Dinge in auf.

Es gab Zeiten, da fand Anna es cool, eine busy Mom zu sein, die mit Headset im Ohr und Kind im Einkaufswagen, die Gemüsetheke räuberte, um healthy super food vorzubereiten, das am Ende aus Zeitmangel doch Nudeln mit Tomatensoße wurde. Sie wollte fühlte eine Art Erfüllung darin, in Eile zu sein, wenn sie in der Kita ankam, schließlich gehörte sie zu den Müttern, die arbeiten mussten und keine Zeit hatten, den halben Tag mit Kuchen backen und Kaffeetrinken zu verbringen. Insgeheim fühlte sie sich dadurch wichtig.

Doch irgendwann brach das filigrane Konstrukt aus Wertschätzungssucht und Rastlosigkeit zusammen. Erschöpfung, launisch Stimmung und eine geringe Toleranzgrenze folgten auf ihren unermüdlichen Einsatz. Sie hatte sich schlicht und einfach hinten, und zwar ganz weit hintenangestellt – dachte Anna zumindest, obwohl niemand ihr gesagt hatte, dass sie sich Tag für Tag aufopfern muss, um Anerkennung zu erfahren, weder im Job noch in der Familie. Das ungesunde Streben danach war in ihr selbst gewachsen. Niemand hatte verlangt, dass sie ihre Jogging-Runden zugunsten von Wäschefalten aufgibt, niemand hatte ihr befohlen, dass es stets staub- und streifenfrei sein musste, niemand hatte ihr gesagt: „Du musst die coole Business-Mom sein, denn du hast schließlich studiert, du bist die Personifizierung der Vereinbarkeit von Kind und Beruf, also musst du auch alles wuppen können. Hör auf zu jammern und mach deine Situps. Die Konkurrenz schläft nicht.“

Die Schuld in der Gesellschaft suchen, löst das Problem nicht

Nun könnte man sagen, das ist ein Problem gesellschaftlichen Ursprungs. Nach dem Motto: Wir Frauen kämpfen teilweise immer noch gegen alte Rollenbilder und Rabenmütterdasein, es ist für Frauen schwieriger nach der Elternzeit wieder in den Beruf zurückzukommen und von uns wird vielleicht immer ein Bisserl mehr erwartet als vom männlichen Kollegen für dieselbe Anerkennung. Auch wenn mittlerweile Männer die Kinderbetreuung übernehmen und Frauen in manchen Familien die Hauptverdiener sind, so bleiben die organisatorischen Sachen vom Besorgen der Geschenke für Kindergeburtstagsparties über Impftermine und Anmeldung zum nächsten Englischkurs doch meist unsere Aufgabe. (Ist wahrscheinlich auch gut so, sonst würde die Welt wohl im Chaos enden – sorry Männer 😊)

Doch es ist zu einfach, die Schuld auf Gesellschaft und gewachsene Strukturen zu schieben. Denn von dort wird keine Putzfee mit Zauberstab angeflogen kommen, und die Bude blitzeblank zaubern. Aus der Gesellschaft kommt auch niemand, der dir sagt, wie die zu dir selbst findest. Am Ende ist es unsere Entscheidung, wie sehr wir uns stressen lassen. Wie sehr wir uns dem gesellschaftlichen Bild beugen.

Anna wusste, dass sie etwas ändern muss. Sie selbst. Das musste sie tatsächlich allein tun. Sie beschlossen, dass sie jeden Tag sein konnte, wie sie möchte. Montags Business-Mom, dienstags Hausfrau, mittwochs total beschäftigt und donnerstags vielleicht einfach nur faul. Zwischendrin war sie aber vor allem Mama und sie selbst. Anna wusste plötzlich, dass sie nicht jeden Tag zehn verschiedene Termine und Erledigungen neben Kind, Haushalt und Job erledigen musste, nur um wertvoll zu sein. Sie war es auch so, denn sie war Anna.

Anna beschloss keine Vernachlässigung ist, wenn man die Kinder mal eine Stunde Fernsehen lässt, um selbst kurz abzuschalten. Sie hat beschlossen, zumindest den Versuch zu unternehmen, die Tage nicht unendlich vollzupacken und stattdessen auch mal in denselben hineinzuleben, wenn es der Alltag erlaubt. Sie hat beschlossen, dass Kinder von einer gelegentlichen Tütensuppe nicht gleich dumm und dick werden. Genauso ok war es auch, dass sie sich in ihr neues Kochbuch verliebt hat und somit vielleicht doch über die ein oder andere hausfrauliche Fähigkeit verfügt, ohne dass sie an Coolness einbüßt – im Gegenteil.

Das Leben findet trotzdem statt…

Anna hat außerdem beschlossen, dass das Leben stattfindet, egal, ob da zwei oder zwölf Wäscheberge thronen. Sie hat beschlossen, Inseln in den Tag einzubauen, kleine aber feine Anna-Inseln. Denn Anna hat keine Lust mehr, zu kurz zu kommen, ändern kann sie das aber nur ganz allein, denn Anna kann ziemlich viel, einiges davon wird sie in Zukunft auf morgen, oder auch übermorgen vertagen. Sie wird die Ansprüche an sich runterschrauben und die Füße öfter mal hochlegen.

Wer ist Anna? Ich glaube, viele von uns Möchtegern-coolen-working-ich-kann-alles-alleine-und-bin-total-entspannt-Moms sind eigentlich wie Anna. Wir würden gerne nach dem Spruch leben „Heute lebe ich, morgen putze ich. Vielleicht“ (hängt auch an meiner Eingangstür) oder „Gute Mütter haben verstaubte Regale, volle Wäschekörbe, schmutzige Fenster, ungemachte Betten und glückliche Kinder.“ Ja, schon, das ist ja nett gemeint. Aber eben auch nicht so einfach. Zumindest nicht für die Annas unter uns. Nur weil ich mal was unerledigt lasse, packe ich doch das Problem nicht an der Wurzel. Und, irgendwann müssen Dinge nun mal erledigt werden.

Es liegt viel mehr daran, sich nicht über seine erledigten ToDos, den Job, den Erfolg zu definieren, sondern über sich selbst, über das, was einen glücklich macht. Hilfreich ist auch mal einen Blick auf die Hierarchie der Prioritäten zu werfen. Hin und wieder stellt man fest, das das ein oder andere nicht wichtig ist. Eine Prise Minimalismus und eine Portion Achtsamkeit können da weiterhelfen.

Anna will mehr auf sich achten. Nicht um schlanker oder attraktiver zu werden, sondern um gesund zu bleiben. Um mit ihren Kindern toben und rennen zu können. Um wieder zu lernen, wie das mit dem Nichtstun funktioniert. Um wieder zu innerer Zufriedenheit zu gelangen. Denn ein Spruch ist definitiv war: „Ist Mama glücklich, wirkt sich das auf die ganze Familie aus.“

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